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Der Experte, der Stromknappheit schrie

Ähnlich wie die Regierungsparteien wurden die Atomstromfreunde von “Bild” und Bild.de von den Ereignissen im Kernkraftwerk Fukushima kalt erwischt. Erst seit sich Altkanzler Helmut Kohl vergangenen Freitag in “Bild” in einem ausführlichen Aufsatz mit dem Titel “Warum wir die Kernenergie (noch) brauchen” zu Wort gemeldet hat, scheint wieder alles beim Alten zu sein. Entsprechend malte Bild.de gestern mal wieder den Stromknappheitsteufel an die Wand:

Experte warnt vor Blackout Im Mai wird in Deutschland der Strom knapp 13 Meiler vom Netz - Chef der Deutschen Energie-Agentur: "Es kann eng werden"

Stephan Kohler, der Chef der Deutschen Energie-Agentur (dena), warnt im dazugehörigen Artikel vor einem möglichen Blackout, wenn zusätzlich zu den sieben nach dem Moratorium abgeschalteten Atomkraftwerken im Mai fünf weitere Meiler zu Wartungsarbeiten abgeschaltet werden.

Und:

Jetzt warnt Dena-Chef Kohler vor den Folgen einer radikalen Atomwende.

“Es wird sich nicht vermeiden lassen, alte, längst eingemottete Kohlekraftwerke zumindest vorübergehend wieder in Betrieb zu nehmen. Das führt zu höherem Ausstoß an klimaschädlichem Kohlendioxid. Dafür müssen die Betreiber CO2-Zertifikate kaufen, was den Strom verteuert”, sagt Kohler.

Wieviel von solchen Warnungen der von “Bild” immer wieder gern zitierten dena zu halten ist, illustriert dieses Beispiel aus dem Jahr 2008:

Energie-Agentur schlägt Alarm Ab 2012 nicht mehr genug Strom

Auch damals forderte Kohler: “Wir müssen uns entscheiden: Entweder wir bauen hocheffiziente Kohle- und Erdgaskraftwerke. Oder wir müssen die Atommeiler länger laufen lassen.”

Ähnliche Warnungen der dena, der Strom könnte knapp werden, wenn sich die Politik zu sehr auf erneuerbare Energien verlässt, gab es 2005, 2009 und 2010 — und das obwohl Deutschland seit Jahren größere Mengen Strom exportiert.

Es lohnt sich überhaupt, die dena etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Bei Bild.de erfährt man lediglich folgendes:

Die Deutsche Energie-Agentur wurde im Jahr 2000 als GmbH gegründet. Gesellschafter sind u.a. das Bundeswirtschaftsministerium und die Staats-Bank KfW. Die Aufgaben: Alle Informationen zu den Themen erneuerbare Energien und Energieeffizienz recherchieren, sammeln, bewerten. Die Dena gilt als DAS Kompetenzzentrum für Energie in Deutschland.

Was Bild.de seinen Lesern verschweigt, ist die Tatsache, dass “DAS Kompetenzzentrum für Energie in Deutschland” zu über 50 Prozent von der Energiewirtschaft (v.a. E.on, EnBW, RWE, Vattenfall) bezahlt wird und für die Vorhersage einer Stromlücke, falls keine neuen Großkraftwerke gebaut würden, mehrfach kritisiert wurde. Bild.de-Experte Stephan Kohler stand schon 2009 kurz vor einem Wechsel in den Vorstand von RWE und hat Anfang 2011 neben seiner Tätigkeit als dena-Chef den Vorsitz des Beirates von RWE Innogy übernommen.

Sorgen um eine Stromknappheit sollte man sich also erst machen, wenn ein wirklich unabhängiges Institut davor warnt.

Mit großem Dank an Carsten B. und Marco L.

Katastrophenszenario gekapert

Daraus, dass die Seite von BILDblog in den letzten Tagen aufgrund von Server-Problemen über einen längeren Zeitraum nicht aufrufbar war, hat Bild.de die einzig logische Lehre gezogen:

Deutschland auf Blackout nicht vorbereitet

Das ist natürlich Quatsch. Aber in einem ähnlichen Maße verdreht Bild.de die Tatsachen in einem Artikel, dessen Überschrift im Ganzen so lautet:

Atom-Ausstieg Deutschland auf Blackout nicht vorbereitet

Bild.de verquickt – völlig aus dem Zusammenhang gerissen – ein noch unveröffentlichtes Katastrophenszenario, das der “taz” vorliegt, mit der Gefahr einer Stromknappheit und daraus resultierender Blackouts:

Acht Atomkraftwerke sind schon abgeschaltet, im Mai werden bis zu fünf weitere für Revisionen vom Netz gehen.

Jetzt kommt raus: Ein Strom-Engpass droht – Deutschland ist auf einen möglichen Blackout schlecht vorbereitet.

Das klingt, als hätte der “Strom-Engpass”, den Bild.de vor Kurzem schon von einem Experten herbeireden ließ, dessen Unabhängigkeit bezweifelt werden darf (BILDblog berichtete), irgendetwas mit der schlechten Vorbereitung auf einen Blackout zu tun.

Bei der Untersuchung des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) ging es jedoch um eine völlig andere Situation.

Die “taz” schreibt:

Das Szenario ist wenig wahrscheinlich. Aber das galt vor wenigen Wochen auch für die Vorstellung, ein Erdbeben könnte einen Super-GAU in einem japanischen Atomkraftwerk auslösen.

Der Katastrophenfall, der in einem als “vertraulich” gestempelten Bericht für den Bundestagsinnenausschuss beschrieben wird, ist ein anderer: Ein großflächiger Stromausfall von mehreren Tagen oder gar Wochen, ausgelöst durch eine Naturkatastrophe oder einen Terroranschlag.

Abgeschaltete Atomkraftwerke sind aber weder eine Naturkatastrophe noch ein Terroranschlag. Ein Blackout von mehreren Tagen oder Wochen, wie er in der Untersuchung beschrieben wird, kann nicht aus kurzen Engpässen entstehen, in denen Deutschland tatsächlich einmal stundenweise weniger Strom produziert als verbraucht. In solchen Fällen würde Deutschland den fehlenden Strom einfach aus dem Ausland beziehen.

Doch obwohl der ganze Bericht laut “taz” schon seit Ende 2010 (!) vorliegt, stellt Bild.de die Situation so dar, als ginge es in dem Szenario um einen Blackout, der demnächst durch Atomstrommangel hervorgerufen wird:

Nicht zum ersten Mal wird vor einem Blackout im Mai gewarnt.

Die ganze Perfidie dieses Artikels wird jedoch erst offensichtlich, wenn man sich vor Augen hält, dass Großkraftwerke sogar ein wichtiger Grund dafür sind, dass längere Stromausfälle fatale Folgen haben könnten.

In der “taz”, nicht jedoch bei Bild.de, erfährt man:

Die Technikfolgenforscher plädieren deshalb dafür, “nachhaltigere Optionen zur Bewältigung eines lang andauernden und großflächigen Stromausfalls zu entwickeln”. So könnten durch eine dezentrale Stromversorgung auf Basis erneuerbarer Energien wichtige Infrastrukturen besser geschützt werden. “Regional begrenzte Inselnetze” könnten selbst bei einem Megablackout weiter Strom erzeugen. (…)

Nach der Katastrophe von Fukushima liefert also auch dieser Bericht weitere Argumente für eine Energiewende.

Mit Dank an Christian und noir.

Der E.on-Chef im “Bild”-Nichtverhör

Oliver Santen, Leiter des Wirtschaftsressorts der “Bild”-Zeitung, hat mal wieder eines seiner bei führenden Vertretern der Industrie so beliebten Interviews geführt. Heute mit E.on-Vorstandschef Wulf Bernotat:

"Erster Stromboss warnt vor Energie-Krise in Deutschland: Ohne neue Kraftwerke wird Strom knapp!"

Da ist der “Stromboss” offenbar ganz einer Meinung mit Wirtschaftsminister Michael Glos, der vor gut drei Wochen in “Bild” vor einer “Strom-Knappheit” warnte – und, beinahe möchte man sagen: natürlich, mit “Bild”-Mann Oliver Santen. Denn schon seine Eingangsfrage lautet:

Deutschland steigt als einzige Industrienation aus der Atomkraft aus. Wie kann die Versorgungslücke geschlossen werden?

Und so geht es munter weiter:

BILD: Drohen Deutschland Engpässe bei der Stromversorgung?

Bernotat: Eindeutig ja! (…)

BILD: Ohne Kraftwerksneubauten gibt es keine sichere Stromversorgung?

Bernotat: Richtig. (…)

BILD: Hat Deutschland ein bezahlbares und sicheres Energiekonzept für die Zukunft?

Bernotat: Ganz klar: Nein. (…)

BILD: Laut einem Gutachten dreier Forschungsinstitute sind zukünftig jedoch keine Erzeugungsengpässe zu erwarten. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch zu ihren eben gemachten Ausführungen?

Das Gutachten (pdf):

“Insgesamt sind zukünftig jedoch keine Erzeugungsengpässe (…) zu erwarten. (…) Auch bei einer expansiveren Entwicklung des Stromverbrauchs als hier unterstellt, wird es aus Sicht der Gutachter marktgetrieben nicht zu physischen Kapazitätsengpässen der Stromversorgung kommen. (…) Wegen des niedrigen Beitrags der Windenergie zur gesicherten Leistung ist hier eine zeitlich differenzierte Betrachtung wichtig: (…) Auch hier sehen wir heute und absehbar keine Angpässe.”

Nein, stopp! Die letzte Frage hat Santen dem “Stromboss” überhaupt nicht gestellt. Stattdessen wollte er lieber wissen: “Was ist zu tun?”, “Was schlagen Sie vor?” oder “Was tun Sie, um beim Stromsparen zu helfen?”

Dabei sollte Santen das Gutachten, das zu einem anderen Ergebnis kommt als Bernotat (siehe Kasten), eigentlich kennen. Darauf hatte sich nämlich Glos bereits in der “Bild”-Meldung von vor gut drei Wochen bezogen. Der Klima-Lügendetektor und zeit.de waren damals beispielsweise der Auffassung, dass Glos’ These von der “Strom-Knappheit” durch das Gutachten nicht gedeckt sei. Entsprechend erwartet auch die Bundesregierung keine Stromlücke.

Aber wenn Santen auch nur irgendeine kritische Nachfrage gestellt hätte, könnte man seine Stichwortgeberei ja womöglich mit Journalismus verwechseln.